Nordmanufaktur bietet Arbeit für Autisten

„Mein Bruder hat sich so eine Lampe gewünscht “, erzählt Aike Borg und zeigt auf einen grün leuchtenden Leitpfosten. „Ich habe ihm eine gebaut.“ 

“ Zwei Wochen lang hat er recherchiert, online den Rohling bestellt, den Sockel aus Holz gefertigt, ihn behandelt und sich überlegt, wie er die Lampe stabil darauf befestigen kann. Zum Schluss hat er dafür gesorgt, dass die Lampe über Fernbedienung und WLAN an- und wieder ausgeschaltet werden kann. „Das hat mir viel Spaß gemacht. Es war eine ganz neue Erfahrung für mich – und ich bin stolz auf mich.“ Dazu hat er allen Grund, denn so ein Projekt selbstständig zu planen und umzusetzen ist für den jungen Mann nicht leicht. Und auch einem völlig Fremden darüber zu erzählen, ist für ihn eine Herausforderung. Aike Borg gehört zu den sechs bis sieben Kindern von 1000, die in Deutschland mit einer Autismus-Spektrum-Störungen geboren werden.  

Autismus ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung mit vielen unterschiedlich stark ausgeprägten Facetten. Menschen mit Autismus leiden unter Defiziten in der Wahrnehmung und der Verarbeitung von Informationen. Ihre Sozialkompetenzen sind eingeschränkt. „Das macht die Arbeit mit ihnen nicht leichter“, erzählt Leif Fuchs, der schon während seiner Ausbildung zum Erzieher und später im Studium Erfahrungen mit autistischen Kindern und Jugendlichen gemacht hat. „Mir wurde schnell klar, dass das Angebot gerade für diese Menschen viel zu gering ist. Spezielle Wohngruppen, therapeutische und pädagogische Unterstützung sowie Freizeitangebote fehlen an allen Ecken und Enden. Das wollte ich ändern.“ In Schleswig richtete er unter dem Namen Inklusion & Autismus mehrere vollstationäre Wohngruppen ein. 2019 kam in Treia der Ankerplatz dazu. Dort können bis zu 25 autistische Kinder außerhalb ihrer eigenen Wohngruppe ihre Freizeit verbringen. Sie bekommen Impulse, Anleitungen und genau das Maß an individueller Unterstützung, die sie benötigen.

Was noch fehlte war die Möglichkeit, jungen Erwachsenen eine berufliche Perspektive zu bieten. „Die Idee war, die Lücke zwischen einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung und dem ersten Arbeitsmarkt zu schließen“, beschreibt der Diplom-Sozialpädagoge. „Denn viele Autisten sind kognitiv stark, aber leiden unter Schwellenängsten. Sie können nur schwer Kontakte zu anderen herstellen. In gewohnter Umgebung mit Menschen, denen sie vertrauen, fällt es ihnen deutlich leichter. Und in so einer Umgebung können sie auch arbeiten.“ Als sich 2020 die Gelegenheit bot, erwarb Leif Fuchs das ehemalige Gebäude von Möbel-Reiser, um dort einen Ort mit genau dieser Atmosphäre zu schaffen und Arbeitsplätze für Autisten einzurichten. Anfang August dieses Jahres gründete er die Nordmanufaktur, die sich auf die Herstellung von Produkten aus Holz und Edelstahl spezialisiert hat, die dann durch Fräse- und Lasertechnik individualisiert veredelt werden. Hier wird nun auch Aike Borg über eine tagesstrukturierende Maßnahme an unterstütze Beschäftigung herangeführt – das heißt, er bekommt eine besondere Hilfestellung bei der Ausübung seines Jobs. 

Aike Borg hat, so wie viele Autisten, eine große Affinität zu Computern. Er kann Vorlagen für Fräse- und Laserarbeiten am Computer kreieren. Das macht die Arbeit für ihn interessant. Anschließend werden die Vorlagen dann weiterverarbeitet und wir schaffen es, ihn vom Computer weg und an die Arbeit mit den eigenen Händen zu führen. „Das hilft ihm, sich zu öffnen, Ängste zu überwinden und über die Arbeit in Verbindung zu anderen zu treten“, erklärt Leif Fuchs. „Wir, mein Team und ich, haben das Ziel, in der Nordmanufaktur weitere Arbeitsplätze für Autisten zu schaffen ¬– in der Werkstatt ebenso, wie im Bereich Verwaltung und Logistik. Wir möchten ihnen eine vernünftige Perspektive bieten, damit sie ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen können. Das liegt uns allen am Herzen.“
 

Beitrag veröffentlicht von:
Claudia Kleimann-Balke
Leif Fuchs (l.) und Aike Borg kennen sich seit vielen Jahren: Beide sind stolz auf die selbstkreierte und hergestellte Lampe.