Seit 2001 nimmt Deutschland beauftragt durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung daran teil und lässt die Leseleistungen der Viertklässlerinnen und Viertklässler prüfen. Das Ergebnis ist ernüchternd: Im internationalen Vergleich liegt Deutschland im Mittelfeld. Ein Viertel erreicht nicht den Standard einer Lesekompetenz, die für einen erfolgreichen Übergang vom Lesen lernen zum Lesen, um zu lernen notwendig ist. „Diese Tendenz beobachten wir auch bei uns“, ergänzt sie. „Wir stellen beispielweise fest, dass in Mathematik Fehler gemacht werden, weil die Kinder Textaufgaben nicht richtig verstanden haben. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass man Lesekompetenz nicht nur im Deutschunterricht braucht, sondern überall.“
Wer die Treianer Grundschule durch den Haupteingang betritt, kommt an einer Bronzeplastik vorbei: Ein lesender Junge sitzt dort auf einem Stein, vertieft in ein großes Buch. Er ist so etwas, wie ein Maskottchen, denn das Lesen und die Frage, wie man es für die Kinder attraktiver machen kann, bewegt das ganze Kollegium – nicht erst seitdem im Mai die Ergebnisse der IGLU-Studie veröffentlicht wurden. „Wir starten gleich bei den Kleinsten mit einer Leseraupe“, erzählt Antje Harmsen. Das Lesen erster kleiner Texte und kurzer Geschichten wird mit einer Perle belohnt. Mit jeder neuen Perle wächst eine Raupe heran. „Und die Kinder können den Erfolg sehen.“ Außerdem wird ihnen gleich die Nutzung der beiden Bibliotheken schmackhaft gemacht. Dort sind die Bücher nach Altersklassen sortiert und mit verschiedenfarbigen Punkten nach Schwierigkeitsgrad gekennzeichnet. Einmal in der Woche heißt es Antolin-Stunde. Dann können sich die Kinder ein Buch aus den Schulbibliotheken ausleihen und im Anschluss ans Lesen einige Fragen zum Textverständnis beantworten. „Mir gefällt, dass wir das am Computer machen können und es für richtige Antworten Punkte gibt.“ Der Bücherbus hält direkt vor der Schule. Natürlich wird den Erstklässlern alle gezeigt und erklärt, wie das Ausleihen funktioniert. Den Anmeldeschein gibt es mit nach Hause.
Oft sind es Kleinigkeiten, die Impulse setzen und Kinder zum Lesen bringen. Da gibt es zum Beispiel die Leserollen. „Die Kinder in der 4. Klasse stellen so ihre Lieblingsbücher vor“, erklärt Alvie Geisendorf aus der 2. Klasse. „Darauf freue ich mich schon.“ Sehr ausführlich und mit ganz viel Liebe beschrieben die Schülerinnen und Schüler Geschichten und die handelnden Personen und wecken so die Neugier auf die Bücher. Schon früh lernen die Erstklässler mit jedem neuen Buchstaben auch ein Buch kennen. Da taucht beim X auch heute noch der Klassiker 'Die kleine Hexe' auf, die viele Eltern ja selbst noch aus ihrer Kindheit kennen. Und weil der Grundschule Treia das Lesen so wichtig ist, gibt es beim Schulfest auch keine Spielsachen zu gewinnen, sondern Buchgeschenke. Jedes Kind darf sich ein Buch wünschen. Dank vieler Unterstützer im Dorf, kann diese Tradition finanziert werden.
Aber natürlich kann nicht die Schule allein für die Lesekompetenz der Kinder sorgen. „Hier sehen wir die Eltern in der Verantwortung. Sie müssen auch an dieser Stelle Vorbild sein,“ betont die Schulleiterin. Digitale Medien haben vieles verändert und Kinder sehen die Eltern vielleicht eher am Handy, als mit einem Buch in der Hand. Die Folgen sind spürbar, der Wortschatz schmilzt. Viele Worte und auch Vergangenheitsformen müssen in der Schule erklären werden, weil den Kindern deren Bedeutung nicht mehr geläufig ist. Den Appell vorzulesen, richtet das Kollegium bei jeder Gelegenheit an die Eltern. Wer liest und wem vorgelesen wird, dem fällt es in der Regel leichter, sich auszudrücken, Gefühle und Bedürfnisse zu formulieren – anstatt mit den Fäusten zuzuschlagen. „Kinder denen vorgelesen wir, haben gewonnen.“
Für Hannes Behnke aus der 4. Klasse ist ein Leben ohne Bücher kaum vorstellbar. Er ist eine echte Leseratte. „Man kann sich in eine ganz andere Welt hineinlesen“, weiß er. „Dort gibt es dann auch Drachen und Kämpfer. Ich stell mir vor, wie die Figuren und die Landschaften aussehen. Das finde ich toll.“