Gärtner im Storchennest

„Diese Kohlrabi ist schon gut“, erklärt Mia, umgreift die festen Blätter der Pflanze und zieht die Knolle aus der Erde. „Salat habe ich auch schon geerntet und gegessen. Der hat mir geschmeckt. Ich mache jetzt da hinten weiter.“ Schon nimmt sie eine kleine Harke und verschwindet zwischen Mangold und Fenchel. Das Gemüse wächst neben Kartoffeln, Zucchini, Karotten, Kürbis und Mais auf einem kleinen Acker, der direkt neben der Kindertageseinrichtung Storchennest liegt. Bewirtschaftet wird er von den Kindern der Naturgruppe.

Jörg Thomsen ist Outdoor- und Erlebnispädagoge und leitet die Naturgruppe. Mit den Kindern und seinen Kolleginnen ist er jeden Tag im Dorf unterwegs. Auf ihren Streifzügen lernen sie in und mit der Natur, besuchen die Bauern und wissen, woher Milch oder Kartoffeln kommen. Auf dem Kindergartengelände wachsen einige Obstbäume und Beerensträucher. „Aber ein eigener Acker, auf dem wir selbst Gemüse anpflanzen, pflegen und ernten können, das wäre toll“, hat er sich öfter gedacht. Perfekt wäre dafür die benachbarte Wiese. Dort stehen bereits Obstbäume. Außerdem lockt eine bunte Blühwiese jede Menge Bienen und Insekten an. Die Wiese gehört allerdings zum Gelände des Ankerplatzes, einem Ort, an dem Kinder und Jugendliche mit Autismus ihre Freizeit verbringen können. Als Jörg Thomsen dem Einrichtungsleiter Leif Fuchs von seiner Idee erzählte, war er gleich begeistert und stellte ihm dafür einen Teil des Grundstücks zur Verfügung.

Bei der Recherche für die Umsetzung des Projekts stieß Jörg Thomsen auf die AckerRacker. Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, Kindern spielerisch zu vermitteln, woher das Essen auf ihren Tellern kommt. Kinder sollen erleben, wie Lebensmittel hergestellt werden. Gleichzeitig werden sie für einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen sensibilisiert. Die AckerRacker unterstützen mit Saatgut und vor allem mit Anleitungen und Tipps rund um Aussaat, Aufzucht und Verarbeitung des Gemüses. „Unser Acker ist für uns alle ein Lernprozess“, erzählt er. „Und wir sind sehr froh, dass wir immer dazu lernen dürfen.“ Schulungen und pädagogisch aufgearbeitetes Lehrmaterial ergänzen das Konzept und bieten auch für den Winder, wenn der Acker ruht, genug Themen.

Inzwischen wächst das Gemüse ordentlich und wenn Jörg Thomsen die Kinder fragt, ob sie mit zum Acker kommen, ist die Antwort laut und einstimmig: „Jaaa!“ Pelle ist schon ein echter Experte: „Man muss das Gemüse gießen, damit die Pflanzen und die Wurzeln wachsen können“, erklärt er. Pia kümmert sich derweil um das Unkraut. „Ich weiß was, was wachsen soll und was lieber verschwinden.“ Es wird gehakt, gegossen, Schnecken werden abgesucht und wenn etwas geerntet werden kann, ist die Freude groß. „Natürlich verarbeiten wir unser Gemüse auch“, ergänzt der Erzieher. „Und plötzlich mögen viele Kinder auch Gemüse, was sie zuvor nicht gegessen haben – weil sie es selbst angepflanzt und geerntet haben.“ Das Projekt ist selbstverständlich für alle Kinder im Storchennest. Mit Svenja Polley-Brix, Leiterin der Einrichtung, Christina Schaffer und Levke Böttcher sind drei weitere Erzieherinnen als aktive Ackerbewirtschafterinnen mit von der Partie.

Auch im Ankerplatz von Leif Fuchs ist Ernährung ein wichtiges Thema. „Wir haben ein kleines Gewächshaus im Garten und unsere Kinder und Jugendlichen lernen, was die Natur uns gibt. Damit hat meine Kollegin Nane Sieh-Carstens bereits sehr gute Erfahrungen gemacht.“ Nun erleben sie auch auf dem Acker, dass es Gemüse nicht nur im Supermarkt gibt. Außerdem kommen dort nun Kinder und Jugendliche mit Autismus und Kindergartenkinder zusammen. „Das ein zusätzlicher Effekt, von dem alle profitieren“, betont Leif Fuchs. Perspektivisch möchten Jörg Thomsen und Leif Fuchs weiter zusammenarbeiten, gemeinsam die Ernte verarbeiten und Marmelade kochen beispielsweise, denn zwischen Kindergartenkindern und autistischen Jugendlichen funktioniert es einfach gut. „Wenn unsere Kinder und Jugendlichen ihre Schwellenängste überwinden, den gewohnten Ankerplatz verlassen und gemeinsam mit den Kindern der Naturgruppe erleben, wie Gemüse wächst – das ist gelebte Inklusion.“

Beitrag veröffentlicht von:
Claudia Kleimann-Balke
Mit Levke Böttcher und Jörg Thomsen erleben die Kinder der Naturgruppe, wie Gemüse wächst, wie man es pflegt und erntet.